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Leben

Ponyhof

Heute wäre ein Tag schön, einfach nur zum Denken und Fühlen.
Um Nachzudenken, um Nachzuspüren, um allem genügend Raum geben zu können, was noch in mir verborgen ist.

Aber ich fahre mit meinen Kindern in den Urlaub.
Ich dachte gar nicht, dass ich mich noch irgendwie dazu bereit fühlen und es eine leise Stimme in mir geben könnte, die mir gut zuredet und mich verhalten hoffnungsfroh auf die nächste Woche in fremder Umgebung, mit unbekannten Menschen, mit ungewohnten Abläufen und ungewissem Essen blicken lässt.

Die letzten sechs Wochen habe ich verstanden und gefühlt wie nie, dass das, was ich erlebe, Depression ist. Und die Grenze meiner Belastbarkeit schon lange überschritten war, bevor ich bereit war, mir diese Pause und diesen Zustand zuzugestehen. Weil es geht ja noch und immer weiter. (Und was ist, wenn ich einmal stehen, für immer hier liegen bleibe?)
Die Ausweglosigkeit, die konstante Anspannung, Erschöpfung und Überforderung, der Wunsch, dass alles einfach aufhört und ich endlich, endlich absolut nichts mehr machen muss, das Gefühl, jeden Moment weinen zu können*müssen, an meiner mentalen Zurechnungsfähigkeit zu zweifeln, mich als gescheitert und versagt habend zu erleben, als unfähig, Dinge zu tun, Dinge zu entscheiden.

Gestern hat mir Therapie das erste Mal gut getan – vielleicht war es die Doppelstunde, die genug Zeit und Raum lässt, wirklich in einer Tiefe über das zu sprechen, was mich bewegt und belastet.
Ich habe das Gefühl, wieder zu mir als kompetenter und sich selbst vertrauender Person zurückgefunden zu haben, die ich in der Zwischenzeit unter der Last der Termine, Verantwortung, Sorgen, Ängste und (Selbst-)Zweifeln verloren hatte. Ich kann mir wieder ein gutes Leben (für mich) vorstellen.

Wir haben über das Narrativ gesprochen, das ich über mich erzählt wissen will und von welchem bzw. welchen ich mich noch weiter lösen möchte.
Für mich ist meine Geschichte die einer schrittweisen radikalen Befreiung von familiären und gesellschaftlichen Zuschreibungen, denen ich mich lange unterworfen, an die ich selbst geglaubt habe und dachte, die damit verbundenen Lebensentwürfe, privaten und beruflichen Leistungsideale realisieren zu müssen. Anscheinend habe ich Gesehenwerden und ein Gefühl von Verbundenheit von meinen lebenslangen Anstrengungen erwartet – and all I got was fifty shades of mental illness.

Ich habe schon viel hinter mir gelassen – das Geschlechtersystem, die heteronormative Kleinfamilie, Beziehungen, die mir nicht gut tun, eine dissoziativ-destruktive Haltung zu meinem Körper, ein romantisiertes Bild von Elternschaft.
Jetzt geht es dem Kapitalismus / Neoliberalismus an den Kragen.
Ich möchte einfach nicht mehr aktiver Teil dieses Systems sein, das Menschen, Tiere und Umwelt unter dem Deckmantel von „Fortschritt und Weltrettung durch Technologie“ bis zur Vernichtung jeglichen Lebens ausbeutet. Ich möchte an eine solidarisch-ökologische Utopie glauben, die Fürsorge zentriert, und wenn auch nur winzige Schritte in diese Richtung gehen.

Ich wünsche mir sehr, dass dies ein neuer Anfang, eine weitere Etappe auf meinem Weg ist, der mich der Person näher bringt, die ich sein kann und will.

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