In meiner Geschichte gab es eine Zeit, da hatte ich praktisch keinen Körper und theoretisch Freizeit. Darauf folgten Jahre ohne praktische Freizeit und einem theoretischen Körper und gerade habe ich eine Evolutionsstufe erreicht, in der ich praktisch und theoretisch (m)einen Körper und (m)eine Freizeit habe, also in der Theorie einen sehr praktischen Freizeitkörper.
Ich frage mich, was dieser Körper in seiner Freizeit alles hätte sein können, wenn ich früher die Form und den Raum für ihn gefunden hätte, die Kraft und das Zutrauen, die wir uns jetzt gegenseitig schenken (könn(t)en).
Wie ich so durch die Landschaft laufe, fällt mir auf, durch wie viele deutsche Berg-, Wald- und Seegebiete ich in meinem Leben schon gewandert bin und wie glücklich ich mich deshalb schätzen kann, könnte. Manchmal neige ich dazu zu glauben, alles in der Vergangenheit – vor der Lennwerdung – schlecht finden, abwerten zu müssen. Als dürfe es in meiner, der damaligen Form nicht zumindest in Teilen gut gewesen sein, was ich (mit anderen) erlebt habe. Wie immer erinnere ich mich vor allem stark an die Anstrengung, die permanente Anspannung. Ob und was ich überhaupt gegessen habe, keine Ahnung. Es ist ein Wunder, wie ich in diesem Zustand der Selbstenergievorenthaltung, diese Dinge tun konnte. Was (s)ich nährte, war ein gewisses Unterlegenheitsgefühl, das körperlicher Natur war, sich aber auch auf andere Freizeitaktivitäten erstreckte, und ich immer bei mir trug.
Jetzt, wo ich dieses kraftraubende Biest in weiten Teilen abgeschüttelt habe, das vor lauter Angst beständig auf die Bremse trat, kommt das kleine, zähe, unersättliche Tier, das ich bin, mehr und mehr zum Vorschein und in Fahrt. Ich könnte alles in Grund und Boden rennen. Diese körperliche Grenze der totalen Erschöpfung (oder Entspannung?) zu finden, scheint ein roter Faden in der Erzählung zu sein. Der Energieentzug unter erhöhter Aktivität hat es nicht gebracht, andere Körper mit meinem Körper erschaffen und nähren auch nicht – denn das kann mensch aus verschiedenen Gründen nur sehr begrenzt tun -, also drängt es meinen Körper weiter, sich in seiner Freizeit frei und entgrenzt zu fühlen. Es ist, als wäre ich kryokonserviert gewesen und meine ganze Kraft und Energie für diese Phase aufgehoben.
Es erstaunt mich ungemein, was ich über mich (selbst) lerne, seitdem ich mir 1 Lennz mache. Mir wurde gesagt, ich sei extrem, radikal und konsequent. Und es stimmt – auch wenn ich denke, dass ich viel weicher geworden bin, in vielen Dingen. Ich erschien mir immer so leise, zurückhaltend und dezent. Wahrscheinlich schließt es sich nicht aus. Nun erkenne ich also, dass ich körperliche Reize suche, um mich zu fühlen. Ich spüre gern den Boden unter meinen Füßen. Ich fahre mit den Fingern über Oberflächen. Ich brauche knackiges Essen, an dem mensch kauen muss. Ich mag eiskaltes und heißes Wasser auf meiner Haut. Ich liebe es, Sex zu haben und generell in Bewegung zu sein, weil ich dann nur noch Körper und voller guter Gefühle bin. Und frei habe von meinen Gedanken oder diese ordnen kann. (Bestimmte) Sensorische Wahrnehmungen beruhigen und beglücken mich.
Seitdem ich eine theoretisch-praktische Freizeitkörperkultur habe, stellt sich eine naiv hedonistische Erwartung ein, immer das Optimum an Freizeit und Körperlichkeit herausholen zu wollen und zu müssen. Das kann nur schief gehen.
Entweder scheitere ich an mir selbst, weil ich mir immer noch eine optimalere Nutzung oder perfektere Option vorstellen könnte (oder erst gar nicht weiß, was ich gerade grundsätzlich will; oder den zeitlichen Aufwand, die finanzielle Investition, die soziale Interatkion scheue, weil ich unsicher bin, ob dies das gefühlte Er(g/l)ebnis rechtfertigt), oder ich scheitere an anderen, die – verständlicherweise – meine Bedürfnisse und Wünsche nur in Schnittmengen oder in dem Moment gar nicht teilen. Die ausgeprägte Unverfügbarkeit der absoluten Stimmigkeit ist eine außerordentliche Unverschämtheit.
Manchmal schäme ich mich für meine weitenteils unbegründete Undankbarkeit und Unzufriedenheit, weil ich mir vorkomme wie ein trotziges Kind, das das bestellte Erdbeereis bekommen hat, aber doch lieber die Pommes gehabt hätte oder beides oder doch lieber das Ninjagoheft und nicht gleich erst, wenn es in das Gesamtgefüge passt, sondern jetzt sofort. Vielleicht ist es die Gier nach der Wüste, dass ich nur noch in der Oase leben will, rundrum bestmöglich bewässert.
Doch ich wachse auch so. Vor allem seitdem ich mir selbst nicht mehr das Wasser abgrabe.
Es fällt mir schwer, meine Abhängigkeit von anderen zu akzeptieren. Ich muss mich immer wieder in meiner Autonomie sonnen und mich meiner eigenen Widerstandsfähigkeit vergewissern. Oft verzichte ich lieber auf Möglichkeiten, um Ungewissheit, Konflikte und Kontrollverlust zu vermeiden, die mit Bindung kommen. Ich glaube, mir fehlen einige Beziehungserfahrungen aller Art, ein Repertoire an sozialem Training, das ich verpasst habe in den Zeiten der Isolation, im Zombiemodus. Einige Ängste sind noch da und hemmen mich.
Mein Gefühl sitzt teilweise noch ängstlich in der Vergangenheit, während mein gegenwärtiger Körper viel freier und selbstbewusster sein könnte. Kommentierte und kontrollierte Körper und Gefühle entfalten sich langsam. Es ist schwer, das innere zwölfjährige Kind hinter mir zu lassen, das ich jahrelang, auch in projizierten Augen anderer, war. Eine trans-masc Transition hilft da auch erstmal nur bedingt – zumindest konnte ich so nochmal sechszehn sein. Ich reagiere oft mit Schockstarre auf ‚negative’ Stimmungen und Auseinandersetzungen und brauche lange, um mich selbst wieder zu stabilisieren und ins selbstbewusste Handeln zurückzufinden. Ich merke ich werde besser darin. Es ist viel innere Arbeit.
Vielleicht ist mein Körper einer, der nicht viel Freizeit braucht. Oder ich muss noch besser lernen, meinen Körper und meine Freizeit zu kultivieren.
Vielleicht ist es ok, in der eigenen Freiheit und Körperlichkeit oft ambivalent und eher melancholisch als zufrieden oder euphorisch zu sein.
Und jeden Moment bewusst wahrzunehmen, in dem alles stimmt.