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Leben

Magdeburg Memories

Das erste Mal war ich 2007 mit meinem Vater vor dem Abitur in Magdeburg, weil ich hier Philosophie-Neurowissenschaften-Kognition (PNK) studieren wollte. Ich hatte ein „Gehirn&Geist“-Abo und irgendwie war in dieser Zeit gesellschaftlich alles mit Gehirnforschung irgendwie angesagt – FMRT und so – und mir war noch nicht klar, wie populärwissenschaftlich das alles war. Ok, ich war jung und naiv und neugierig.

Es kam dann alles anders – mein damaliger Freund studierte schon in Dortmund, Statistik, you better run – und irgendwie bin ich anscheinend eher der Typ Mensch (gewesen), der anderen folgt, als das ihm andere folgen. Die Anpassung geht dann aber eben nur so lange sie geht und am Ende ziehe ich alles durch, was ich will.

2011 bin ich dann doch in Magdeburg gelandet. Mein inneres Coming out lag kurz vor dieser Entscheidung und der Fachrichtungswechsel war irgendwie eine versuchte Transition – von einem eher „weiblich“ konnotierten Studienfeld hin zu einem überwiegend „männlich“ assoziierten Bereich. Dass mich niemand als „Junge“ oder „jungen Mann“ wahrgenommen hat, hat mich irgendwie unbewusst enttäuscht und irritiert – auch wenn das damals lächerlich war, überhaupt zu denken, weil mir das alles selbst gar nicht so genau klar war.

Mit in dieses neue Leben hatte ich auch meine alte Beziehung genommen, die wenige Monate zuvor begonnen hatte. Mittlerweile erscheint mir das Ganze total absurd und surreal, wie ein anderes Leben – was es ja auch irgendwie ist. Heiraten, Kinderwollen – das kam wie angeschaltet. Rückblickend wie eine Art Wahn oder Film, der einfach abgelaufen ist. Überwiegend ist mir diese Beziehung, dieses Leben jetzt peinlich.

Mit einer anderen Person und selbst als eine andere Person hier zu sein, fühlt sich größtenteils leicht und vertraut an. Mir fällt auf, wie anstrengend und lang mir Wege vorgekommen sind, wie sehr ich mich abgehetzt habe, weil ich so angewiesen war auf mein System, Dinge zu tun. Kein Moment der Entspannung, weil einfach immer zu viel innere Anspannung. Ein bisschen fühlt es sich wie Verrat an der getrennten Person an, Orte und Situationen zu überschreiben und neu zu besetzen, und ein bisschen seltsam der verbundenen Person gegenüber, für die die neue Schicht die erste ist.

Ich erinnere mich, wie ich mein Fahrrad über die vereiste Domplatte geschoben habe. Wie wir mal im Winter im Park gegrillt haben. Wie ich mich unter Leuten einfach immer unwohl gefühlt habe. An das Hochwasser, wo ganze Stadtteile überschwemmt waren, die Sandsäcke, die Ungläubigkeit. Die Jugendlichen um die Ecke, die mir zugerufen haben „Iiiih, die Hässliche.“ Den seltsamen Mitbewohner, der mit seinem Essen in seinem Zimmer vergammelte. Wie ich mich in meinem Zimmer versteckt habe, um meine andere Mitbewohnerin möglichst nie zu treffen. Die Gebärdensprachdolmetscherinnen meiner schwerhörigen Kommilitonin, die K-Pop-Fan war und wegen der ich DGS gelernt habe. Über die ich “Queer as Folk“ kennenlernte und wie ich total fasziniert von gay romance in “Glee“ war. Wie wir ab und an in ihrem winzigen Zimmer asiatisch gekocht haben und es das Nächste an Freundschaft war, das ich zu der Zeit konnte. An den Mitstudenten, der mir immer „Viel Erfolg“ gewünscht hat, wenn ich aufs Klo wollte, was ich maximal unangenehm fand, und den ich darum beneidete, dass er sein T-Shirt bei über 30 Grad während der Thermodynamikklausur ausziehen konnte und generell um sein männliches Entitlement. 

Nördlich der Stadt ist die Brücke über dem Fluss, wo wir – super cringe – ein Schloss befestigt haben und es kurz danach nicht wiederfinden konnten. Dilettantisch hatte ich unsere Initialen hineingeritzt, weil wirklich Geld ausgeben wollte ich für so einen Quatsch dann doch nicht. In der Stadtmitte das Kinderwunschzentrum neben dem Brunnen mit den Spritzen, der Aufregung, der Verzweiflung. Die Apotheke in Halle, wo ich einen Test kaufen wollte, und völlig fertig mit den Nerven war. Das Warten auf den Anruf, wie viele Zellen es geschafft haben. Das Warten auf den Anruf, ob es geklappt hat. Das christlich angehauchte Gästehaus in dem heißen Sommer mit letzten Klausuren, in dem ich heimlich schwanger und nur für die Prüfungen wieder angereist war. Eine Klausur unter krass schlimmen Schmerzen geschrieben und Podcasts über die lahmste Internetverbindung der Welt runtergeladen. Die erste Rückkehr mit Baby zur Verteidigung im nächsten Jahr. Das nächtliche Umhergehen auf dem Flur der Jugendherberge, um endlich Schlaf zu finden.

Ich weiß noch an welcher Stelle in Buckau ich zu B. bei einem meiner unendlichen abendlichen Spaziergänge durchs Telefon sagte: „Irgendwann muss ich mal eine Therapie machen. Vielleicht so eine Art Körpertherapie, denn so kann ich nicht dauerhaft leben. Ich muss das alles mal sortieren und loswerden, um irgendwie frei zu werden.“ Ich weiß noch zwischen welchen Straßenbahnstationen ich die SMS an S. schrieb: „Das klingt vielleicht komisch, aber kannst du mich ‚Tom‘ nennen?“ 

Einsilbige, kurze Namen, beste Namen. Mein Onkel Thomas aus Köln, von dem wir nicht wissen, ob er schwul ist, mit dem ich gerne befreundet gewesen wäre, aber daraus wurde nichts. Onkel Tommy aus „Luzie Libero“ –  es ist ein bisschen lustig, jetzt ist mir der Name total fremd.

Vorgestern im ‚Neuzeit‘, in der Jetztzeit bedient uns eine junge Frau mit Berliner Pony und ist so freundlich und cool, dass ich mich wieder mal frage, ob es in irgendeiner Form, mit einem anderen Style eine Möglichkeit gegeben hätte, im mir zugewiesenen Geschlecht zu verbleiben, eine Art Sein zu finden, das irgendwie für mich gegangen wäre und einen Sinn, eine Stimmigkeit ergeben hätte. Das ich irgendwie lesbar geworden wäre für mich und andere. Aber am Ende hätte das vielleicht eine temporäre Maskerade sein können, die ich wahrscheinlich eh nie zustande gebracht hätte, weil verkleiden einfach noch nie mein Ding war und niemand – schon gar nicht ich selbst – mir das abgekauft hätte.

Vielleicht muss ich erst noch lernen, Frauen sympathisch und attraktiv zu finden – ganz ohne irgendeine Idee davon, was ich davon hätte sein können. Es ist ein bisschen, wie vor der Transition mit eher männlichen Personen, wo die Grenze zwischen „Ich finde diese Person anziehend“ und „Ich will diese Person sein“ undefinierbar war.

Auch wenn Vieles hier nicht super gut war, fühle ich mich tief verbunden und vertraut mit dieser Stadt. Weil es meine ureigne Entscheidung war, hier zu sein, weil ich mir hier etwas beweisen wollte, weil ich hier jemand Neues und Anderes sein konnte. Weil es ein Bruch war mit dem Davor, das primär durch Dritte bestimmt war. Es war eine kurze, erste Phase von Lennigkeit, für die ich noch nicht ganz bereit war.

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